So war´s: Wirtschaftsforum Westbalkan

München 20.10.2016

In der Münchner IHK Akademie diskutierten auf dem „Wirtschaftsforum Westbalkan“ Minister aus fünf Ländern Südosteuropas über die Frage, wie es mit dem EU-Integrationsprozess weitergeht.

 

Bayerns Staatsministerin Beate Merk lobte, die IHK sei Treffpunkt der Vordenker und Visionäre – und diese Veranstaltung war der beste Beleg dafür: „Wirtschaftsforum Westbalkan: Politik trifft Wirtschaft“ – unter diesem Slogan präsentierten am 19. Oktober fünf Regierungsvertreter Südosteuropas in der Münchner IHK Akademie ihre Heimatländer. Neben den Außenministern Ditmir Bushati (Albanien), Enver Hoxhai (Kosovo), Bill Pavleski (Mazedonien), Vera Jolicic-Kulis (Montenegro) war mit Nemanja Stefanovic auch der persönliche Berater des serbischen Premiers nach München gereist, um vor rund 150 Teilnehmern für engere Kontakte zur bayerischen Wirtschaft zu werben. Lediglich der sechste Balkan-Staat, Bosnien-Herzegowina, wurde nicht von einem Minister vertreten. Die hochkarätige Besetzung machte klar, dass es bei diesem Forum nicht nur um Lieferverträge für Bayerns Autoindustrie ging. Im Brennpunkt stand die Frage nach dem weiteren Verlauf des europäischen Integrationsprozesses überhaupt. Hintergrund: Seit 2000 wird den genannten Ländern eine „europäische Perspektive“ versprochen. Die früheren jugoslawischen Republiken Slowenien sowie Kroatien haben den Sprung in die EU auch geschafft. Jean-Claude Juncker und Angela Merkel hatten dagegen die Balkanstaaten 2012 mit der Feststellung frustriert, dass die Tür für weitere Beitrittskandidaten vorerst zu sei.

Merkel hat vertiefte Zusammenarbeit versprochen

Neue Hoffnungen keimten mit dem sogenannten „Berlin-Prozess“. Die Regierungschefs der Balkan-Staaten vereinbarten 2014 mit Bundeskanzlerin Angela Merkel eine vertiefte Zusammenarbeit. Die IHK für München und Oberbayern hat auf die veränderte Großwetteralge sofort reagiert. 250 Teilnehmer kamen 2015 zum ersten Einkäufertag Westbalkan, den der BME e.V. zusammen mit der AHK Serbien ebenfalls in der Münchner IHK Akademie ausrichtete. „Die Resonanz“, berichtet IHK-Außenwirtschaftschef Frank Dollendorf, „hat unsere Erwartungen übertroffen.“ Damals wurden an Ort und Stelle Lieferverträge geschlossen.

Der Faktor Vertrauen

Auf dem Wirtschaftsforum Westbalkan baten die Minister auf dem Podium um mehr als das. Sie warben um Vertrauen. Vera Jolicic-Kulis sagte, dass man sich von Bayern Unterstützung für die europäische Integration erhoffe. Alle Balkan-Staaten hätten hierfür große Anstrengungen unternommen. „Wir sind bereit“, sagte die Staatssekretärin. Sie und die Regierungen ihrer Nachbarländer träumen von der Wirtschaftsachse Berlin – Wien – Südosteuropa. In der Wirtschaftspolitik gilt Bayern als Vorbild. Unternehmen und Investoren aus dem Freistaat sollen mithelfen, die Balkan-Staaten zur EU-reife zu bringen.

Staatsregierung will aus Südosteuropa ein „Chancenland“ machen

Die Bitte fand durchaus Resonanz. IHK-Präsident Eberhard Sasse sagte, es sei schön zu sehen, wie alte Wirtschaftsräume wieder zusammenwachsen würden. Bayerns Staatsministerin Beate Merk verwies auf südosteuropäische Fußball- und Basketballstars, die in bayerischen Top-Clubs für Furore gesorgt hätten. Eine ähnlich fruchtbare Zusammenarbeit wünscht sie sich nun auch in der Wirtschaft. Es gehe darum, aus Südosteuropa ein „Chancenland“ zu machen. Und diese Chancen gibt es. Deutsche und bayerische Behörden leisten auf dem Balkan Verwaltungshilfe, die EU-Kommission unterstützt mit großem Aufwand eine Verwaltungsreform im Kosovo (EULEX). Die Region punktet zudem mit guter Verkehrsinfrastruktur, Fachkräfteangebot und Deutsch-Kenntnissen der Bevölkerung. Mazedonien hat sich im Weltbank-Ranking im Geschäftsklima seit 2006 von Platz 94 auf Platz 12 hochgearbeitet. Siemens macht in Serbien vor, wie gut Produktion in Südosteuropa geht. Seit 2003 ist dort die Zahl der Mitarbeiter von 12 auf 1.900 gestiegen.

Ernüchterndes Zwischenzeugnis der EU-Kommission

Ein Höhepunkt des Forums: Die Teilnehmer des Forums erlebten quasi „live“, wie die EU-Kommission die Lage Südosteuropas beurteilt. Bernard Brunet leitet in Brüssel die Abteilung, die die EU-reife möglicher Beitrittskandidaten umfassend prüft. In der IHK Akademie sprach Brunet ein großes Urteil gelassen aus. Keiner der sechs Balkanstaaten erfüllt bislang die sogenannten „Kopenhagener Kriterien“, die eine EU-Vollmitgliedschaft ermöglichen. Die Schwachpunkte der Region: kaum Innovation, hohe Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung sowie mangelhaftes Bildungssystem. Der Chef-Analyst aus Brüssel bescheinigte der Region aber auch, in jüngster Zeit Fortschritte gemacht zu haben. Brunet lobte insbesondere Serbien, das es geschafft habe, die Staatsverschuldung zu senken und die Wirtschaft auf Reformkurs zu bringen. Weiterer Lichtblick sei der Baubeginn der Trans-Adria-Pipeline in Albanien. Als positiv wertete Brunet, dass alle Regierungen auf dem Balkan den Privatsektor erheblich gestärkt hätten.

China macht Druck

Der Frust der Balkan-Länder war auch in der Podiumsdiskussion herauszuhören. Albaniens Außenminister Bushati etwa erklärte, man wisse selbst um die Standortmängel – habe aber schon viel getan, um sie abzustellen. Albanien und seine Nachbarländer könnten nicht endlos auf motivierende Signale aus Berlin und Brüssel warten. China sei in Südosteuropa sehr aktiv. Seine Botschaft war leicht zu verstehen: Wenn Merkel und Juncker die Regierungen dieser Region zu lange zappeln lassen, könnte der bayerischen Wirtschaft direkt vor der Haustür eine sehr bedrohliche Konkurrenz entstehen.