Viele zentrale Fragen sind aber nach wie vor ungeklärt, die Nervosität in der Wirtschaft wächst. Auch das Treffen der Staats- und Regierungschefs am 29.06.2018 in Brüssel brachte wenig neue Erkenntnisse. Der Europäische Rat rät allen Institutionen und Beteiligten, sich auf allen Ebenen für alle denkbaren Ergebnisse zu rüsten. Um einen Rahmen für künftige Beziehungen verfassen zu können, müsse das Vereinigte Königreich zunächst realistische und vor allem durchführbare Vorschläge vorlegen. Es müssten nun verstärkte Anstrengungen unternommen werden, „damit das Austrittsabkommen einschließlich seiner Übergangsbestimmungen so rasch wie möglich geschlossen und am Tag des Austritts wirksam werden kann“, heißt es in einer Erklärung des Europäischen Rates. Ob die nun vorgestellten Vorschläge der britischen Regierung zu einer Freihandelszone mit der EU umsetzbar sind, wird die EU-Kommission eingehend prüfen.
Die Wirtschaft wird leiden - egal wie das Ausstiegsszenario verläuft
Airbus und BMW überlegen bereits, Teile der Produktion aus Großbritannien nach Europa zu verlagern, sollte es einen ungeregelten Austritt ohne Fortsetzung der Zollunion und Vereinbarungen für einen Übergangszeitraum geben. Auch Jaguar kündigte ähnliche Überlegungen bereits an.
Die Frage, wie sich Unternehmen auf den BREXIT vorbereiten können, war auch zentrales Thema auf der BIHK-Veranstaltung „Next Stop Brexit“, die am 19.06.2018 in der Brüsseler Vertretung des Freistaates Bayern gemeinsam mit der Wirtschaftskammer Österreich veranstaltet wurde. Für die Aktualität bürgte etwa der Panelteilnehmer Stefaan de Rynck, der zum Team von Michel Barnier, Chef-Verhandler der EU in den Brexit-Gesprächen, gehört. Markus Ferber, stellvertretender Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses des Europaparlaments ist einer der politischen Experten, die um die negativen wirtschaftlichen Folgen des Brexit wissen. Nicht minder spannend: Isabella Lindner von der Österreichischen Nationalbank und BMW-Brexit-Fachmann Maurus Unsoeld, die anschaulich darstellten, wie die laufenden Brexit-Verhandlungen in der Wirtschaft aufgenommen werden. Zwei Panelgespräche informierten die Teilnehmer über die politische und wirtschaftliche Perspektive der laufenden Brexit-Verhandlungen. Nach Einschätzung aller Referenten ist die Hoffnung, die Briten würden auf den Brexit doch noch verzichten, ebenso verfehlt wie die politischen Versprechen eines EU-Ausstiegs, der der Wirtschaft nicht wehtut.
Der Rat aller Experten: Unternehmen sollten sich auf den schlechtesten Fall vorbereiten. Dann sind sie im Falle eines besseren Ausgangsergebnisses in jedem Fall gut vorbereitet. Es werde jeden Tag wahrscheinlicher, dass die Briten aus der EU aussteigen, ohne „einen Deal“ ausgehandelt zu haben. Grund ist die Planlosigkeit der britischen Regierung, die bislang nur deutlich machte, was sie alles nicht will – eine EU-Mitgliedschaft, eine Zollunion oder eine EFTA-/EWR-Mitgliedschaft (d.h. ein Verbleib im Europäischen Wirtschaftsraum, wie z.B. im Falle Norwegens). Norwegen bezahlt dafür einen Kohäsionsbeitrag, Geld, das sich die Briten sparen wollen. Folglich weiß derzeit niemand, was Ende März 2019 nach dem Brexit wirklich passiert. Nachdem sich die Briten bislang jeder wirklichen wirtschaftlichen und juristischen Integration verweigern, bleiben faktisch nur die Alternativen Freihandelsabkommen und ein ungeordneter EU-Austritt, nach dem lediglich WTO-Regeln in Kraft treten würden und die EU von heute auf morgen zum euro-päischen Nachbarn ein Verhältnis wie zu einem x-beliebigen Drittland in der Welt hätte.
Es herrscht völlige Unsicherheit
Michael Gotschlich, Außenwirtschaftsexperte des bayerischen Wirtschaftsministeriums, machte deutlich, dass die Wirtschaftskammern hier die wichtige Aufgabe erfüllten, ihre Mitglieder laufend über Stand und Folgen der Brexit-Gespräche zu informieren. Karl Martin Fischer, für Außenwirtschaftsrecht bei Germany Trade & Invest zuständig, erklärte, die in Großbritannien aktiven europäischen Unternehmen müssten noch bis mindestens Oktober 2018 mit dem leben, was sie am meisten hassen: völlige Unsicherheit. Und das wenige, was als sicher gilt, macht die Wirtschaft auch nicht glücklich: Der Brexit wird Unternehmen beider Seiten härter treffen als sich das Öffentlichkeit und ein Großteil der Politik heute vorstellen können. Mit Extrakosten für Zölle und Verwaltungsaufwand, Störungen des freien Warenverkehrs, juristischen Problem bei Neuverträgen sowie Einschränkungen der Personenfreizügigkeit ist zu rechnen. Nach Einschätzung des BMW-Vertreters Unsoeld wird Großbritannien bei einem harten Brexit an Attraktivität für Unternehmen verlieren, die in Europa Geschäfte machen wollen. Er hält massive Verspätungen im Warenverkehr und Produktionsausfälle für sehr wahrscheinlich, sollte es zum Worst Case Szenario eines ungeordneten Austritts Großbritanniens aus der EU kommen.
Der Brexit verschärft den Fachkräftemangel
Künftige Probleme bei der Mitarbeiterentsendung oder bei der Vergabe von Arbeitsvisa könnten den Sinkflug der britischen Wirtschaft beschleunigen. Für die wenigen industriellen Produktionsbetriebe auf der Insel gibt es kaum geeignete Fachkräfte. In Großbritannien gibt es kein duales Ausbildungssystem, die Talente arbeiten vorzugsweise in der Finanzbranche. Aber auch hier steht ein dramatischer Umbruch bevor. Bislang lief das EU-Wertpapiergeschäft größtenteils über London. Die Verlagerung von Banken und Versicherungen auf den Kontinent ist derzeit schon voll im Gange. Frankfurt gehört bislang zu den Gewinnern. In der Industrie werden die Lieferketten neu sortiert. Das, was die BIHK-Veranstaltung in Brüssel deutlich machte, fasste DIHK-Präsident Eric Schweitzer am 25.06.2018 im Gespräch mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ zusammen. Schweitzer sagte, schon 2017 sei das „UK-Geschäft“ der deutschen Firmen „relativ miserabel“ gewesen. Im laufenden Jahr seien weitere Geschäftseinbußen so gut wie sicher. Jedes zwölfte deutsche Unternehmen plane schon heute eine Verlagerung seiner Investitionen in Großbritannien auf andere Märkte. Markus Ferber, Mitglied des Europäischen Parlaments, appellierte an die Wirtschaft, dass diese nicht auf den Ausgang der Verhandlungen um ein Austrittsabkommen warten könne, sondern sich bereits heute auf das schlechtmöglichste Ergebnis vorbereiten müsse. Nur dann wären die Unternehmen bestens auf alles vorbereitet, was kommen könnte.
Überprüfen Sie mittels der IHK-Checkliste „Are you ready for Brexit“, ob Ihr Unternehmen für den Brexit gerüstet ist. Die IHK München berät Sie dazu gerne.
Weitere Informationen zum Brexit stellen wir Ihnen auch auf unserer Webseite IHK München - Brexit zur Verfügung.